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Die fünfte Jahreszeit II

II. Flucht aus der Krise

von Anne Siebertz

„Ich will raus!“, „Nur weg hier!“, „Raus aus Köln“ schreit es in großer Aufschrift von handgeschriebenen Pappschildern. Die Träger selbiger sind allesamt wetterfest in einen Parka gehüllt. An den Autobahnauffahrten stehen sie mit kleinem Handgepäck alleine oder in kleinen Gruppen, bereit, in das Auto eines Fremden zu steigen, der gewillt ist, sie mitzunehmen.
Wohin? Egal!
Was ist los? Ist ein Bürgerkrieg ausgebrochen oder werden sie gar politisch verfolgt?

Nichts von alledem. Es ist schlichtweg Karneval in Köln. Punkt.

Und dabei ist es jedes Jahr dasselbe: Während die einen am Donnerstag vor Rosenmontag ungeduldig auf 11:11 Uhr – das Startsignal für schrankenloses Feiern in den Straßen der Stadt – warten, ziehen die anderen lange Gesichter. So sie nicht zum Zwangsurlaub verdonnert sind, schaffen sie freiwillig wahre Aktenberge vom Schreibtisch, getragen von der Angst, inmitten der fröhlichen Kollegenschar lustig mittun zu müssen. Doch so manches Mal werden sie dann hinter verschlossenen Türen doch noch von einem hysterischen Schrei mit „Ich hab ihn gefunden!“ verraten. Hilflos stehen sie ihrer ganzjährig ach so biederen, nunmehr jedoch wild gewordenen Kollegenschar gegenüber. Kein Ausweg scheint mehr greifbar gegen Schunkeln, ein Piccolöchen, närrische Kriegsbemalung und ausgelassene Polonäsen.

Schon seit Wochen verharren sie in der Hochburg des Karnevals gewissermaßen in der Warteschleife. Auf Eis gelegt. „Ja, müssen wir unbedingt machen, rufen Sie mich nach Karneval wieder an...“, heißt es schon Anfang Januar bei all den hektischen Mitmenschen, die seit dem Elften im Elften im vollen Karnevalsprogramm stecken. „Aber es sind doch noch vier Wochen...“, will der Karnevals-Ignorant ihnen zurufen, doch seine Worte gehen in der Antwort unter. „Nur noch vier Wochen? Hilfe, ich muss los. Wir sehen uns! Im Mä-hä-rz, ganz bestimmt...“.

Da wundert es nicht, dass derart gebeutelte Mitmenschen das Warten nicht länger aushalten. Je länger die allzu lustige Session, desto panikartiger planen sie ihre Flucht. Nur weg von den Jecken, den ach so lustigen und auf Kommando gut gelaunten Narren, die keine Gelegenheit zum Feiern auslassen. So sie den Donnerstag, also Weiberfastnacht, noch einigermaßen heil überstanden haben, treten sie spätestens am Freitag nach Dienstschluss die Flucht an. Ziel egal, ach nein, es sollte schon ein Ort sein, an dem das Wort Karneval nur staunende Blicke hervorruft. Im hohen Norden vielleicht? In Bielefeld?

Clowns Ach, es gibt so viele Orte, die trotz schmuddeligem Februarwetter ein wahres Paradies sind. Geschäftsstraßen mit normalen Mitbürgern, Kaufhäuser ohne permanentes Gedudel „Mer losse d’r Dom in Kölle“, keine Heerscharen von Prinzen, Hunnen oder kleinen Harry Potters. Nichts! Einfach göttlich! Wenn es doch nur am Mittwoch nicht schon wieder vorbei wäre!

Aber es soll ja Menschen geben, die den Aschermittwoch zu ihrem persönlichen Feiertag erklären. Zu einem ganz privaten Neujahrsfest sozusagen. Nahezu neun Monate ohne hysterische Kollegen, ohne Warten „auf die Zeit danach“, ohne Bilder kollektiven Frohsinns in Zeitungen, ohne ... einfach herrlich! Fröhlich trotzen sie Wind und Wetter, hüpfen durch die Straßen, kaufen ein, was, wann und wo es ihnen beliebt. Nur das eine fragen sie sich: „Warum machen eigentlich alle anderen so ein mieses Gesicht?“

Zurück zum 1. Teil: Sichtweise einer Nicht-Eingeweihten

 

2005-01-05 von Anne Siebertz, Wirtschaftswetter
Text: ©Anne Siebertz
Foto: ©Sabine Neureiter
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