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Der Sommer der Überwachung

Wenn die massenhafte Überwachung unbescholtener Bürger zum Alltag von Regierungen und zum Geschäftsmodell von Unternehmen wird, muss sich der ehrbare Kaufmann auf dem Kontinent wohl jetzt warm anziehen

von Angelika Petrich-Hornetz

Selten ist ein Sommerloch so plötzlich ausgefallen wie dieses Jahr. Seit Wochen jagt ein Höhepunkt den nächsten und löst bei Radiohörern, TV-Zuschauern und Zeitungslesern auf der ganzen Welt mit jedem Tag zunehmend Fassungslosigkeit aus, da die Regierungen ausgewiesener Demokratien offenbar nicht in der Lage sind, ihre Bürger umfassend über die Vorgänge in einem Bereich innerhalb sonst so transparenter politischer Systeme aufzuklären, der bislang im Geheimen werkelte, der sich aber auch noch nie in einem solchen Ausmaß auf andere und eigene Zivilbevölkerungen richtete, sofern man nicht sofort den Vergleich mit totalitären Systemen heranziehen wollte.

Anfangen hat alles offenbar (das Wort bezeichnet die immer noch herrschende weitestgehende Ahnungslosigkeit der so Ausgehorchten) mit dem 11. September 2001, dessen Folgen sich auch im ganz normalen Alltag europäischer Bürger u.a. in gesteigerten Sicherheitsmaßahmen niederschlugen, die bis dato für jeden selbstverständlich erschienen. Doch was jetzt beinahe stündlich ans Tageslicht kommt hat offenbar jedes Maß verloren und droht mittlerweile auch ernstzunehmende demokratische Normen zu sprengen. Der jüngste Vorfall, dieses Mal im Vereinigten Königreich, ein stundenlanges Verhör des Lebensgefährten eines Guardian-Journalisten, ohne richterliche Anordnung, angeblich wegen "Terrorverdachts", inklusive Beschlagnahme seines technischen Equipments, sowie der Bericht des Guardian, dass, nach eigenen Angaben, der Redaktion gedroht worden sein soll - sowie die Zerstörung technischer Ausrüstung und Daten im Keller der Redaktionsräume, schlagen dem rollenden Skandal-Fass den Boden aus. Sollte sich das so zugetragen haben, hat es einen direkteren Angriff auf die Pressefreiheit im demokratischen Europa wohl noch nicht gegeben.

Nicht nur Politiker im Parlamentarischen Kontrollgremium der Bundesrepublik Deutschland, die die Geheimdienste eigentlich kontrollieren sollen, wissen kaum noch, was sie zu den Informationen sagen sollen, die sie erhalten. Durch die vergangenen Sommerwochen, konnte oder wollte noch niemand die Frage aller Fragen beantworten, die vor allem die Öffentlichkeit umtreibt, nämlich, in welchem Maße die Kommunikation privater Bürger und privater Unternehmen hierzulande sowie auch anderswo tatsächlich "erfasst", bzw. ausgehorcht wurde und wird.

Der Eindruck, dass es sich bei den bisherigen Informationen - u.a. Deutschland sei für die USA ein Spionageziel und ein "Partner dritter Klasse" - immer noch, nur um die Spitze eines Eisbergs handelte, der uns eines Tages massiv um die Ohren fliegen könnte, drängt sich derart auf, dass immer mehr Bürger und Unternehmen ihr Vertrauen in die digitale Kommunikation verlieren, was u.a. wirtschaftliche Folgen hat. Was noch viel schlimmer ist: Es ist besteht inzwischen die Gefahr, dass darüber hinaus das Vertrauen in demokratische Strukturen abnimmt.

Insbesondere das Vertrauen in die Sicherheit von Daten auf us-amerikanischen Servern ging messbar verloren. Das schafft neue Möglichkeiten - und gleichzeitig neue Gefahren. Immer mehr europäische Unternehmen entwickeln nun selbst Programme, eigene Apps oder stellen ihre eigenen Server auf.
Als bekannt wurde, dass selbst EU-Behörden abgehört werden, war bereits ein weiterer Höhepunkt des Gespitzels "unter Freunden" erreicht, der zeigte, dass nationale und internationale Verträge und Gesetze offenbar keine Grenzen mehr für eine "Sicherheitsbranche" darstellen, die sich längst aus dem Einfluss öffentlicher Behörden verabschiedet hat, womit die Frage im Raum steht: Wie viel Kontrolle haben staatliche Kontroll-Behörden und parlamentarische Gremien tatsächlich noch?

Eine scharfe Kritik am Aushorchen der EU-Behörden bezog sich zu Recht auf Verhandlungen auf höchster Ebene, u.a. mit Drittstaaten: Wie zielführend und damit sinnvoll können Verhandlungen demokratischer Staaten sein, wenn ein Verhandlungspartner aufgrund zweifelhafter Informationen die Positionen der anderen Seite zu kennen meint?
Welche einseitigen Vorteile in Verhandlungspositionen glaubt man, damit zu besitzen? Sind mit solchen Methoden überhaupt Vorteile verbunden oder manövrieren sich Verhandlungspartner damit beidseitig in eine Sackgasse? Spätestens damit stand in der NSA-, Prism- und Tempora-Affäre auch die Frage nach dem Ausspähen des kontinentalen europäischen Wirtschaftsraums und damit nach einem möglichen Ausmaß von Wirtschaftsspionage im Raum - und spätestens hier hört der Spaß auf.

Es wurde immer, u.a. in zahlreichen Pressekonferenzen von unterschiedlichen Beteiligten und Unbeteiligten wieder und wieder versichert Wirtschaftsspionage werde nicht betrieben. Was passiert aber in dem Moment, wenn sich nun immer mehr Kunden tatsächlich aus dem Einflussbereich datenhungriger Regierungen verabschieden sollten und ihre Daten lieber auf den Servern als sicherer geltender EU-Staaten speichern ließen?
Fühlt sich eine Regierung dann möglicherweise ebenfalls massiv bedroht, weil ihr damit der ein oder andere Teil ihrer wirtschaftlichen Grundlage entzogen würde? Bleibt Wirtschaftsspionage für einen Staat immer noch obsolet, wenn sich die eigenen Wirtschaftsdaten etwa verschlechtern? Wie viele wirtschaftlichen Vorteile ziehen Unternehmen, Lobbyisten und ganze Staaten inzwischen aus einer Industrie, die das Ausspähen von politischen oder wirtschaftlichen Konkurrenten längst zum eigenständigen Geschäftszweck inklusive Gewinnerzielungsabsicht erhoben hat?

Der "Zeuge Prism" (Zitat Hans-Christian Ströbele) war bei einer privaten Firma angestellt, die einer staatlichen Behörde zuarbeitete. Alle Regierungen beteiligen private Firmen, auch in sensiblen Bereichen in mehr oder weniger großem Ausmaß. Man ging bisher allerdings davon aus, dass auch hier ein gewisses Maß, zumindest aber streng einzuhaltende Regeln herrschen, obwohl es schon einige handfeste Skandale gegeben hat. Bis zur NSA-Affäre hielt man diese jedoch für Ausrutscher in Form von einzelnen (unabsichtlichen) Regelübertretungen. Sind sie das wirklich?

Die NSA entließ offenbar kürzlich gleich mehrere Hundert Mitarbeiter. Begrenzte Zugriffsrechte und vor allem mehr Maschinen statt Menschen sollen eine Wiederholung spektakulärer Enthüllungen vermeiden, um Aufklärung geht es dabei augenscheinlich weniger. Es dürfte jedoch auch bezweifelt werden, dass ausgerechnet Maschinen weniger datengefräßig als Mitarbeiter sind, wenn dahinter genauso datengefräßige Gesetze sitzen und die werden, was grundsätzlich zu begrüßen ist, immer noch von Menschen gemacht.

Keine Frage, Sicherheit muss sein und ausgerechnet diese Affäre wird auch ein weiteres Aufrüsten auf allen Seiten mit sich bringen. Jeder wird versuchen, die eigene Kundschaft, die eigenen Bürger besser zu sichern. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Aber was bedeutet es für eine globale, vernetzte Wirtschaft, wenn es schon lange nicht mehr um die Sicherheit der eigenen Bürger und der eigenen Kundschaft geht, sondern um das Gegenteil davon, nämlich um digitale Frontalangriffe auf andere Staaten, andere Wirtschaftssysteme und andere Unternehmen, um ihnen u.a. Bürger- und Kundendaten abzujagen und allein mit diesen, abseits aller verfassungsrechtlicher Regeln erworbenen Informationen, eigene wirtschaftliche Vorteile zu erlangen?

Wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, indem andere schikaniert werden, ihnen absichlich Schaden zugefügt wird, waren bisher Methoden, die zumindest bislang aus den demokratischen Wirtschaftssystemen eher weniger bekannt waren. Das heißt nicht, dass es diese nicht bereits gegeben hat, spätestens seit 2008 dürfte eine breitere Öffenlichkeit zumindest eine Ahnung davon bekommen haben.
Doch die Öffentlichkeit lebte bis vor Kurzem noch in dem Glauben, der Markt werde von Angebot und Nachfrage bestimmt und andere Marktteilnehmer bewusst schädigendes Verhalten sei ein zu ahndendes Vergehen und gehöre eher zu den Kennzeichen von Diktaturen, organisierter Kriminalität und Piratennestern, in denen vor allem eines gilt: außer das Recht des Stärkeren - keine Regeln.

Wer aber hat noch daran Interesse, ein Unternehmen in einem derart scheinbar gesetzlosen, geradezu arnachisch agierendem Umfeld zu gründen, wenn aus angeblicher Staatsräson (von Lobbyisten umschwämt) von einer Minute auf die andere, Pässe, Genehmigungen, Daten, Informationen, Waren, technische Ausrüstung bis hin zu Personen eingezogen werden können, wann immer es (von wem auch immer) verlangt wird? Und was bedeutet es für bestehende Unternehmen und eine Demokratie, deren Basis eine gesunde und handlungsfähige und keine kranke, unterjochte und unterjochende Wirtschaft ist. Was bedeutet diese Entwicklung für unsere soziale Marktwirtschaft?

Nur eines schein momentan klar: Weil auch mangelnde Information irgendeine Information ist, geht der Sommer der Überwachung in die Verlängerung.


2013-08-20, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: © Angelika Petrich-Hornetz
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