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Danke, David

Reaktionen auf den Brexit

von Angelika Petrich-Hornetz

EUBrexit: Rund 52 Prozent der Briten stimmten am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der EU, knapp 48 Prozent für einen Verbleib. Während sich Premierminister David Cameron mit seinem Rücktritt indes großzügig noch bis Oktober Zeit lassen will, fällt die Enttäuschung über das Ergebnis des britischen Referendums auch in Unternehmen und Verbänden groß aus

Trotz absehbarer negativer Konsequenzen haben sich die Briten gegen die Europäische Union entschieden, die EU-Kommission muss bei den Austrittsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich nun das Maximale für die Bürger und Unternehmen der EU-27 herausholen, wobei nur EU-Vollmitglieder alle Rechte und Vorteile genießen - der Abschied dürfe für die Briten nicht noch mit Zusicherungen in Form von Vorteilen und Vergünstigungen versüßt werden, forderte Mario Ohoven, der Präsident des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft (BVMV) und des europäischen Mittelstandsdachverbands European Entrepreneurs (CEA-PME).

Tiefes Bedauern über das Ergebnis des Referendums zeigte auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) über das Ergebnis des Referendums, das ein Alarmsignal für alle Europäer ist, die EU wettbewerbsfähiger zu gestalten, äußerte Hauptgeschäftsführer Markus Kerber und sieht den Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Europa in einer Vertiefung des europäischen Binnenmarktes in Kombination mit dem Vorantreiben der europäischen Investitionsoffensive. Der nun durch den Brexit drohende Verlust des Zugangs zum Binnenmarkt für Großbritannien werde die britsche Wirtschaft, aber auch deutsche Unternehmen mit geschäftlichen Beziehungen zu Großbritannien "hart und unmittelbar" treffen, so Kerber weiter. Der BDI rechnet mit einem deutlichen Rückgang der Geschäfte mit den Briten. Während der bilaterale Handel ("nur") leidet, sind dagegen neue deutsche Direktinvestionen kaum noch zu erwarten. Derzeit arbeiten rund 400.000 Beschäftigte in den Niederlassungen deutscher Unternehmen im Vereinigten Königreich.

Laut dem Vorsitzenden der Familienbeetriebe Land und Forst (FAB) sowie Vize-Präsidenten der European Landowners' Organisation, Michael Prinz zu Salm-Salm versetzt der Brexit der europäischen Landwirtschaft einen schweren Schlag - mit tiefen Auswirkungen. 2015 hatten allein die Exporte der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft nach Großbritannien ein Volumen von 4,8 Milliarden Euro. Nun müssten kluge, neue Handelsabkommen vereinbart werden - für sämtliche Bereiche, von Zöllen bis zu den sonst längeren Wartezeiten an der Grenze für frische, landwirtschaftliche Produkte. Man sei mit den britischen Kollegen bereits im Gespräch, in der globalisierten Welt müssten die Familienbetriebe zusammenhalten, so der Vorsitzend der FAB weiter.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV), Henning Ehlers äußert ebenfalls großes Bedauern über den herben Rückschlag und zeigte sich darüber hinaus besorgt, dass der von den Briten gewählte Brexit nicht nur weitreichende negative Folgen für den innergemeinsschatlichen Handel, den Binnenmarkt und für die Zusammenbarbeit mit britischen Unternehmen haben wird, sondern, dass der Schritt der Renationalisierung zu einem handelspolitischen Flickenteppich in Europa führt. Deshalb muss ein Dominoeffekt unbedingt abgewendet werden, um damit zu verdeutlichen, dass die europäische Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft keinesfalls zur Disposition steht.

Ein ähnlich tiefes tiefes Bedauern äußerte am Freitag der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e.V., Hermann Kortland, der das Abstimmungsergebnis als "wirtschaftlich verheerend" bezeichnet. Der Verband fordert nun, dass der Sitz der Europäischen Arzneimittelmittelbehörde (EMA) von London nach Bonn verlegt wird.

Henrik Wolter vom Telefonie-Verbraucher-Portal handytarife.de befürchtet nach dem Brexit eine Verteuerung der Handytelefonate für Deutsche und andere Europäer in Großbritannien, da die EU die Telefongebühren für das internationale Roaming reguliert - doch nur für die EU-Mitgliedsstaaten sind maximale Preise vorgegeben und im Sommer 2017 sollen zudem die Aufschläge für Gespräche im Ausland wegfallen, so dass im Ausland zu den gleichen Preisen wie zu Hause telefoniert und gesurft werden kann. Aber ob diese günstigen Konditionen nach dem EU-Austritt auch noch für Großbritannien gelten, ist derzeit nicht vorhersagbar. Eventuell könnten Anbieter dort, ähnlich wie in der Schweiz und Norwegen auch weiterhin Tarife "wie in der EU" anbieten, um ihre Kunden nicht zu verlieren.

Schwer enttäuscht über den Ausgang des Referendums zeigte sich auch der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA) und spricht von einem schweren Schlag für die EU, der wirtschaftliche Flurschaden ist gewaltig. Mit einem Volumen von 89 Milliarden Euro der Exporte nach Großbritannien ist das Land der drittwichtigste Absatzmarkt für Deutschland, die Schwächung des Pfunds wird die deutschen Produkte erheblich verteuern. Allerdings wird die Verteuerung vor allem die britische Volkswirtschaft treffen, die mit ihrer nur schwachen industriellen Basis auf Importe angewiesen ist. Das Wohlstandsniveau in Großbritannien wird entsprechend sinken, fasst Anton F. Börner, Präsident des BGA zusammen, und weiter: Auch der Finanzplatz London verliert mit dem Austritt seine europäische Verankerung, der Brexit verstärkt insgesamt die Unsicherheit und das ist Gift für die Wirschaft. Die jetzt eingetretenen Unsicherheiten müssen beseitigt und Schadensbegrenzung betrieben, das Verhältnis zu Großbritannien zügig geklärt werden, in einer Art und Weise, die der Tatsache folgt, dass sich nur eine Vollmitgliedschaft in der EU lohnt. Die Rückbesinnung auf Nationalstaaten löst keinerelei Probleme, der britische Bürger ist aber dieser Mähr leider aufgesessen, so Börner.

Vize-Marketing-Präsident Tom Rahder des Londoner Finanzdienstleistungsunternehmens Ebury, gab zur Frage, ob die FinTech-Unternehmer den Finanzplatz London verlassen ein Statement ab. Demnach sieht sich das Unternehmen mit seinen Büros in Kontinental-Europa derzeit gut aufgestellt, so dass Finanzdienstleistungen auch weiterhin länderübergreifend angboten werden können und es momentan keine Pläne gibt, das Hauptquartier innerhalb der EU zu verlagern. Da der Austritt Großbritanniens aud der EU mindestens zwei Jahre dauern werde, geht man in der nahen Zukunft von "business as usual" aus, so Ebury.

Mit großer Sorge hat indes der Bundesverband Deutscher Banken e.V. die Entscheidung im Vereinigten Königreich zur Kenntnis genommen, erklärte der Präsident des Verbandes Hans-Walter Peters, der nun vor allem Klarheit fordert, weil jahrelange Verhandlungen über die Modalitäten des Austritts mit möglicherweise auch noc offenem Ausgang Gift für die Stabilität der EU sind. Die Phase der Unsicherheit für die Wirtschaft muss so kurz wie möglich gehalten werden. Dennoch werde sich nach dem ersten Schock die Lage an den Finanzmärkten rasch wieder beruhigen, ist Peters sicher, die Notenbanken haben alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen. Peters rechnet damit, dass mittelfristig die Finanzplätze Kontinnentaleuropas durch den britischen Austritt an Bedeutung gewinnen werden, ein mit Großbritannien geeintes Europa wäre ihm trotzdem lieber gewesen.

Für mittelständische Dienstleister und Start-ups wird es künftig schwerer werden, kommentiert Bernhard Rohleder vom Bundesverband Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien e.V. - Bitkom das britische "Nein" zu Europa, Ziel müsse ein gemeinsamer Binnenmarkt bleiben, der Großbritannien mit einschließt, damit die Auswirkungen auf die deutsche und europäische Digitalwirtschaft möglichst gering ausfallen. Großbritannien wird sich, so schätzt Rohleder die möglichen Auswirkungen des Brexits ein, von den Standards des digitalen Binnenmarktes entfernen. Die überlicherweise in internationalen Teams arbeitenden IT-Dienstleister werden außerdem nicht mehr im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit tätig sein können. Deshalb sei ein einheitlicher Rechtsrahmen auch nach dem EU-Austritt notwendig. Für britische Verbraucher sieht Rohleder schwarz, da der EU-Schutzschirm über die Verbraucher mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest teilweise "eingeklappt" werden wird, was vor allem die Standards zum Daten-, Verbraucher- und Umweltschutz betrifft, die allesamt stets von der EU ausgingent wurden und damit nicht gerade selten gegen die Vertreter Großbritanniens durchgesetzt werden mussten. U.a. ist davon auch die gerade mühsam verabschiedete EU-Datenschutzgrundverordnung betroffen. Unternehmen mit Zentralen oder Niederlassungen in Großbritannien werden von all diesen zahlreichen Veränderungen betroffen sein, z.B. beim Austausch von Kundendaten, die Bürokratie wird durch den Brexit zunehmen. 2015 wurden ITK-Geräte und Unterhaltungselektronik im Wert von 2,9 Milliarden Euro von Deutschland ins Vereinigte Königreich geliefert, rund 8 Prozent aller ITK-Ausfuhren - sowie ITK-Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro eingeführt.

Für die für Deutschland äußerst wichtige Automobilbranche gibt es unterschiedliche Statements. So hält der Autoexperte und Professor der Universität Duisburg-Essen Ferdinand Dudenhöffer eine Panik vor den Auswirkungen des Brexits für vollkommen unangebracht. Der gestätigte britische Automarkt mit 2,6 Miliionen Neuwagen - im Vergleich zu 78 Millionen weltweit - beträgt am Weltmarkt gerade einmal 3 Prozent, die selbst bei einem Absatzeinbruch von 50 Prozent für die Autoindustrie nicht den Untergang bedeuteten. Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management und ebenfalls Professor sieht indes negative Auswirkungen, inbesondere für in Großbritannien ansässige Hersteller und Zulieferer und rechnet mit mittelfristigen Standortverlagerungen von der Insel auf den Kontinent.

Die Speaker- und Referenten-Agentur European Speakers Agency, Lizenznehmer der Speakers Excellence GmbH in Stuttgart hält den Brexit für einen rabenschwarzen Tag für Europa und betont in ihrem Statement die knappe Mehrheit der Austrittsbefürworter, die nun für die schwerste Krise der Europäischen Union sorgten, sieht allerdings neben dem Risiko steigender Preise, weniger Jobs und einem Wechsel der Finanzmetropole von London auf das europäische Festland auch Chancen, die nun wahrgenommen werden müssten.

Die Präsidenten des Bundes der Steuerzahler (BdSt) und der Taxpayers Association of Europe , Reiner Holznagel und Rolf von Hohenhau warnen vor den Kosten des Brexits für die Steuerzahler. Der Brexit ist ein bitterer Moment für ganz Europa, die Entscheidung wird nicht nur Großbritanninen, sondern alle EU-Staaten teuer zu stehen kommen, heißt es in einem gemeinsamen Statement. Alle verbliebenen EU-Mitglieder müssten nun den britischen Nettozahler-Beitrag in die EU ausgleichen, der rund 5 Milliarden Euro betrug, ein Betrag, den allein Griechenland pro Jahr aus dem EU-Haushalt erhält. Für die EU-Steuerzahler ist daher mit Zusatzbelastungen zu rechnen, dazu kämen die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und damit auf die Steuereinnahmen. Die EU-Institutionen müssen reformiert werden, um Vertrauen zu gewinnen und damit den inneren Zusammenhalt der europäischen Wertegemeinschaft zu stärken, damit nicht noch mehr Staaten dem Beispiel Großbritanniens folgen. Die Austrittsverhandlungen müssen andererseits konsequent und diszipliniert geführt werden, damit es nicht zur Rosinenpickerei kommt - Wer sich entscheidet, die EU zu verlassen, muss ganz raus, eine weitere Partizipation an EU-Programmen ist damit ausgeschlossen. forden die Steuerzahler-Verbände.

Der Milchindustrie-Verband e.V. (MIV) betont in seinem Statement "Deutsche Milchkühe gegen den Brexit", dass der Austritt Großbritanniens aus der EU kein gutes Zeichen für Europa, aber auch nicht der Anfang vom Ende ist. Zunächst gilt das Binnenmarktsprinzip noch weiter und die Verhandlungen um den Austritt werden sich lange hinziehen, ist der Verband überzeugt. Außerdem bleibt Großbritannien Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) und muss sich an dessen Spielregeln halten. Deutschland exportierte im Jahr 2015 rund 13.000 Tonnen H-Milch, 12.000 Tonnen Kondensmilch, 68.000 Tonnen Käse und vor allem 94.000 Tonnen Joghurt auf die Insel. Die EU muss ihre Drittlandsabkommen überarbeiten fordert der Milchindustrie-Verband außerdem, Einfuhrzollkontingente sollten neu verteilt werden, England hätte dabei sicher gern sein Butterkontingent aus Neuseeland wieder. Der Verband der Milchindustrie rechnet trotz aller Nachteile durch den Austritt Großbritannienns mit einem weiterhin fairen Miteinander beim Handel mit den Briten.

Wirtschafsweiser Christoph M. Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) und Professor der Ruhr-Universität Bochum sieht in der Mehrheit für den Brexit ein tragisches Ergebnis für Großbritannien und die Europäische Union, schließlich verlangen die zentralen Herausforderungen unserer Zeit - Klimawandel, Migration, Terrorismus - eine enge und intensive, internationale Zusammenarbeit. Innerhalb der EU wird Großbritannien nun auch als Stimme der Marktwirtschaft fehlen. Schmidt fordert in seinem Statement nun eine Besinnung auf das Prinzip der Subsidiarität und damit, nur jene Dinge europäisch regeln, wenn dafür auch eine gemeinschaftliche Herangehensweise vernünftig ist. Für die Bevölkerung braucht es außerdem eine Stärkung demokratischer Teilhabe die dort auch ankommt, für viele Aspekte der Wirtschaftspolitik sollten indes die nationalen Regierungen mehr eigene Verantwortung übernehmen - inbesondere über die jeweiligen Rahmenbedingungen für ein solides Wirtschaftswachstum, so Schmidt.

Das Thünen-Institut, eine dem Bundeslandwirtschaftsministerium unterstellte, oberste Bundeshörde - für Ländliche Räume, Wald und Fischerei gab ebenfalls eine erste Einschätzung zu den Folgen des Brexits ab. Vor allem verarbeitete Nahrungsmittel könnten von Handelsrückgängen betroffen sein, die Verluste beim britischen Pfund und den Aktienkursen werden nicht ohne Folgen für den deutschen Agrarhandel bleiben, heißt es. Für die deutsche Agar- und Ernährungswirtschaft war das Vereinigte Königreich mit 4,5 Milliarden Euro und 7 Prozent der gesamten Agrar- und Nahrungsmittelausfuhren der wichtigste Handelspartner. Ob Großbritannien Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) bleibt, ähnlich wie Norwegen, Island und Liechtenstein, oder etwa ein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU sinnvoll sei, sollte geklärt werden. Ohne solche zusätzlichen Abkommen, würde der Handel der EU mit der Insel nach deren erfolgtem Austritt nur noch auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) funktionieren, u.a. mit der vorgesehenen Erhebung von Zöllen, ähnlich wie beim Handel mit den USA, Braslien und China. Von solchen Zollsätzen sind insbesondere verarbeitete Nahrungsmittel betroffen, Rindfleisch-Einfuhren würden damit mit 28 Prozent belegt, Milchprodukte mit 35 Prozent und Zuckerimporte mit einem Zoll von 125 Prozent.

Quellen: bvmw.de, familienbeetriebeluf.de, drv-raiffeisen.de, bah-bonn.de, handytarife.de, bga.de, ebury.com, bankenverband.de, bitkom.org, uni-due.de, auto-institut.de, esa100.de, steuerzahler.de, milchindustrie.de, thuenen.de


2016-06-25, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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