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Der alte Fabrikant

von Birgid Hanke

>Foto MaschinenhalleFlamenco tanzen oder klassisches Ballett kann man hier erlernen. Afrikanisch trommeln, sich in in Quigong unterweisen, massieren oder psychisch therapieren lassen. Gar vielfäl­tig ist das Angebot des Kulturzentrums, Grundstraße 3 im Bremer Steintor. Wer ahnt denn schon, dass in diesen Räumlichkeiten einst Maschine an Maschine stand, die Tag und Nacht liefen? Bis zu hundert Mitarbeiter waren hier einmal beschäftigt, stellten vom Knochennagel für die Marburger Universität über Armaturen, Bremstrommeln und Gewin­de noch etliche unverzichtbare Teile für die Großindustrie her.

Thyssen, Preussag, Demag und, und, und. Die damalige Kundenliste des Betriebs liest sich wie ein „Who is who“ der frühen Wirtschaftswunderjahre einer noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Nicht zu vergessen: 320.000 Bremstrommeln für den damals so beliebten Kleinwagen „Lloyd Alexander“, der in den „Lloydwerken“ im gar nicht so weit entfernten Stadt­teil Hastedt produziert wurde, entstanden genau hier.

Parallel zur Grundstraße verläuft die Helenenstraße, ein winziger Sperrbezirk, der sich heute nur noch äußerst mühselig am Leben hält. In den tiefen fünfziger Jahren des ver­gangenen Jahrhunderts waren die Fenster der Produktionsräume, die auf diese sündige Meile zeigten, geschwärzt. Um die Moral der Lehrlinge nicht zu gefährden und all zu inter­essierte Mitarbeiter nicht von der Arbeit abzulenken. Angeordnet hatte diese Maßnahme Heinz Erich Fritz, damaliger Eigentümer der „Armaturen- und Maschinenfabrik Fritz“, in den dreißiger Jahren bei Borgward ausgebildeter technischer Zeichner, Detailkonstrukteur, Un­ternehmer, Zulieferer der Automobilindustrie, Erfinder, Pleitier, Neugründer, angesehener Fabrikant .....und mittlerweile im Ruhestand.

Eine dieser ruhigen, gutbürgerlichen Wohnstraßen einer norddeutschen Kleinstadt, in denen am späten Nachmittag im Frühsommer 2017 kein Mensch auf der Straße zu sehen ist, weil die arbeitende Bevölkerung noch nicht zuhause weilt. Ich bin verabredet mit Heinz Erich Fritz, um ihn zu fotografieren.
Direkt auf der Fußmatte der Eingangsstufen liegt wieder die heutige Tages­zeitung. Wohlweislich lasse ich sie liegen, als ich klingele. Bei meinem ersten Besuch hatte ich sie näm­lich aufgehoben und dem Hausherrn überrei­chen wollen.
„Die lassen Sie da mal schön liegen, die ist für meine Nachbarn, denn ich habe sie schon gelesen.“

Das war keine Bitte, sondern eine Anweisung. So bestimmt erteilt, dass ich das Blatt erschrocken fast fallen gelassen hätte. Erst danach haben wir uns offiziell begrüßt.
Ein hochgewachsener, alter Herr bat mich durch Flur und Wohnzimmer in seinen geräumi­gen Wintergarten, wo auf einem liebevoll gedeckten Tisch bereits Kaffee und Erdbeerku­chen bereit standen.
Bis zum späten Abend dauerte das Interview.

Foto Eule„Was wissen Sie denn überhaupt?“ fauchte er mich einmal an, als mir, nachgewiese­ne Biografin seines einstigen Ausbilders – vormals sagte man Lehrherr - die exakte personelle Zu­sammensetzung des Konstruktionsbüros, in dem der damals 15 jährige Heinz Erich Fritz am 1. April 1936 bei der Firma Borgward seine Ausbildung begonnen hatte, nicht geläufig war. Nicht nur das: Auch in dem Personenregister meines Buches tau­chen etliche Namen der Ausbilder und Mentoren, die dem heute 96 jährigen bis heute noch so wichtig wie un­vergessen sind, gar nicht auf.
Mea culpa!
Aber nach etwa 6 Stunden hatten wir uns zusammen gerauft.

Mein Blick fällt heute auf zwei hölzerne Eulenskulpturen, die direkt neben den Eingangs­stufen stehen. Und hinten, in dem langgezogenen Garten, der sich hinter dem Einfamilien­haus erstreckt, entdecke ich eine weitere, riesige Eule, die aus einem mächtigen Baum­stamm heraus gehauen worden sein muss.
Heinz Erich Fritz begrüßt mich lächelnd. Er scheint sich über den Besuch zu freuen. Nichts mehr von der Distanz, der Skepsis, einem leichten Misstrauen sind zu spüren, kein abweisen­der Blick wie bei der ersten Begegnung, sondern offenes Willkommen. Wieder werde ich in den Wintergarten geleitet. Im Hintergrund erklingt leise Tangomusik „Ja, er liebt Tango sehr“, schießt mir der Satz seiner Tochter durch den Kopf. Auch im Wintergarten entdecke ich Eulen, Eulen und nochmals Eulen. Bohrmaschinen, Bremstrommeln, Gewinde, Sägerei und Fräserei, hauchdünn horizontal schneiden, Feinmechanik, Großkräne sind die Stichworte, die auf meiner Liste ste­hen. Dazu will ich eine exakte Zeitleiste der Firmensitze, die dieser Unter­nehmer im Ver­laufe seiner Tätigkeit in den verschiedenen Stadtteilen Bremens und schließlich im nieder­sächsischen Wildeshausen inne hatte, mit seiner Hilfe erarbeiten.

„Wer hat hier eigentlich diese große Affinität zu Eulen?“ platze ich stattdessen heraus.
„Überall Eulen.“
Der alte Herr strahlt auf.
„Dann kommen Sie doch mal mit“, fordert er mich auf und bittet mich hinaus in den Garten, in dessen linker Ecke die riesige Eule steht. Davor eine runde Sitzgruppe, gleichfalls aus massivem Holz. Ich schnappe mir die Kamera.
„Jetzt gehen Sie doch einmal zu Ihrem Lieblingsplatz“, bitte ich ihn. Und er strebt genau auf den Platz zu, wo ich ihn spontan positioniert hätte. „Hier!“ Er lässt sich auf dem rustikalen Sitz nieder. Über seinem Haupt ragt die mächtige Eule mit den spitzen Ohren hervor.

Foto Kraniche, Link zur FotografinIch studiere sein schmales Gesicht, in dessen zahlreiche Falten das Leben so viel Erfahrun­g und Geschichten eingekerbt hat.
„Wissen Sie, dass Sie selbst Ähnlichkeit mit einer Eule haben“, rutscht es mir heraus, wäh­rend ich ihn durch den Sucher meiner Kamera betrachte. „Hat Ihnen das noch nie je­mand gesagt?“
„Nein, noch niemand!“ Er lächelt, irritiert und überrascht zugleich. Aber er verübelt mir mei­ne Offenheit nicht.
Seine 96 Jahre sieht man ihm nicht an. Eher den ehemaligen Sportler, Leichtathleten, wie er da leichtfüßig durch den Garten schreitet und auf meine weitere Bitte in aufrechter Hal­tung vor den stählernen Kranichskulpturen, die ich mittlerweile in der anderen Gartenecke ent­deckt habe, posiert.
„Die habe ich selbst gemacht“, verkündet er voller Stolz.
„Wann denn?“ „Oh, fragen Sie mich doch nicht immer nach Daten!“
Ein Stoßseufzer, der als Kontrapunkt so überraschend wie unverhofft in seinen ansonsten so präzisen Erinne­rungen, die bis ins kleinste Detail gehen, immer wieder auftaucht.
„Wann haben Sie denn geheiratet?“
„Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass ich das Aufgebot drei mal verschoben habe.“
„Oh, oooh! Sie waren also mit Ihrem Betrieb verheiratet?“
„Das sehen Sie ganz richtig. Meine Familie hat es mit mir nicht leicht gehabt.“

Was er nicht weiß, ist aus der mit wissenschaftlicher Akribie erarbeiteten Familienschronik eines Verwandten zu erfahren. Geheiratet wurde am 21.10.1950.
Gekannt haben müssen die Eheleute sich jedoch bereits während der Kriegsjahre, denn „Da kam meine Frau einmal heulend zu mir: „Die wollen mich Dienst verpflichten.“ Da habe ich sie kurzerhand in meinem Betrieb 'Dienst verpflichtet'.“
So nahm Rita Lore Sigrid Kroog, eigentlich Verkäuferin des ehrwürdigen Bremer Textil­hauses Ahlers, künftig verehelichte Fritz, schon in der Urzelle des Fritzschen Unterneh­mens ihre Tätigkeit als Buchhalterin auf. Das war ein winziges Konstruktionsbüro in unmit­telbarer Nähe des Bre­mer Hauptbahnhofs, „in dem es noch keine Maschinen gab.“
Ach, die Maschinen!

Wenn der alte Herr von seinem Maschinen spricht, die er im Verlaufe etlicher Jahrzehnte für sehr, sehr, manchmal viel zu viel Geld angeschafft, selbst an ihnen ge­arbeitet, aber gleichfalls Mitarbeiter daran ausge­bildet hat, beginnen seine Augen zu leuchten, ehe Wehmut seine Züge erfasst.
Bis zu seinem 90. Lebensjahr hat er an Drehmaschinen und Werkbänken gestanden. Noch im Keller seines jetzigen Wohnhauses hatte er sich nach offizieller Aufgabe seiner Wildeshauser Niederlassung erneut eine Werkstatt eingerichtet. Erst sieben Jahre ist es her, dass er diese Maschinen seinem Enkel überließ, der sie wiederum in einem Bremer Be­trieb aufstellte und noch immer daran arbeitet.
Ein langes, erfülltes Leben mit etlichen Höhen und Tiefen liegt hinter Heinz Erich Fritz.
>Foto - Der junge FritzGeboren ist er am 1. November 1920 in der Hildesheimer Straße als Sohn des Werkmeis­ters Gustav Fritz und seiner Ehefrau Meta, geborene Brüns. Er wuchs in diesem damali­gen Bremer Arbeiterviertel auf, aus dem sich längst das quirlige bunte „Multikulti Viertel“ entwi­ckelt hat, und wurde regulär mit sechs Jahren in die Volksschule in der Hemelinger Straße eingeschult.
„Mein Vater hatte keine Kindheit!“ sagt seine Tochter Jutta über ihn. Vom eigenen Vater wurde er nämlich schon als kleiner Junge zu harter Arbeit herangezogen. So hat er das gesamte Holz für die Hütte, die der Vater auf der Parzelle der Werderinsel erbaute, über die Weser schleppen müssen. In Folge der schweren Wirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre, Anfang der dreißiger Jahre war diese Weide im Rahmen der vom Bremer Senat veranlassten ABM-Maßnahme als Kleingartengelände ausgewiesen worden. „Und wehe, war eine Latte verbogen oder hatte ein unschönes Astloch.“
Der am 28. Juni 1896 geborene Gustav Fritz stammte aus Bermbach, einem winzigen Dorf im hessischen Taunus. Wie es diesen jungen Mann nach Bremen verschlug, ist schon wieder eine Geschichte für sich.
„Mein Vater hat niemals regulär die Schule besucht. Er war eigentlich ein Analphabet. Aber dahinter bin ich erst viel viel später gekommen“, erzählt Heinz Erich Fritz.
Kriegswirren und ein bisschen Hochstapelei. „Der hatte da unten in Frankfurt bei einer Fir­ma Adler nur ein paar Hufstollen gefräst. Der hatte aber niemals an einer Drehbank ge­standen, es aber einfach behauptet.“

Wie sein Vater seinen Analphabetismus so lange kaschieren und es bis zum Werkmeister bringen konnte, ist dessen Sohn und auch Enkelin noch heute ein Rätsel; eine Lebens­leistung, die beiden erst posthum und überraschten Respekt abnötigte.
Einfach scheint das Verhältnis zwischen Vater und Sohn nicht gewesen zu sein.
So besuchte Heinz das Gymnasium nur bis zur Untertertia, „ehe ich die Schule schmiss und mich hinter dem Rücken meiner Eltern bei Borgward bewarb.“
Das Bewerbungsschreiben erstellte er mit Hilfe eines Onkels, einem Beamten, der „später ein ganz hohes Tier wurde“, der ihn mit seiner Pingeligkeit so lange drangsalierte, bis der Neffe sich mit einem energischen „nun lass mal gut sein!“ der verwandtschaftlichen Für­sorge entzog. Er hatte eben schon einen eigenen Kopf.
So einfach, wie er sich den Einstieg in das Berufsleben vorgestellt hatte, lief es jedoch nicht. Allein die Aufnahmeprüfung für die damalige Berufsschule erstreckte sich über drei Tage. Er bestand sie, wenn auch mit ein bisschen, noch auf dem Gymnasium erlernter Schummelei und Spickerei. „Ich hatte zudem ein ungeheuer gutes Zahlen-und Namensgedächtnis.“

Mit der Beantwortung auf seine Bewerbung ließ sich die Fir­ma Borgward lange Zeit. Etliche Monate dauerte es, bis eines Tages doch noch das er­sehnte Schreiben eintraf: „Angesichts ihrer guten, bei den Prüfungen erbrachten Leistung stellen wir Sie zum 1. April 1936 als Lehrling in unserem Konstruktionsbüro ein.“
Groß war die Freude, genauso groß die Aufregung, die dem neuen Stift so auf den Magen schlug, dass er drei Tage nichts essen konnte. Was nun wiederum seine Mutter, eine ech­te Bremerin in tiefe Sorge versetzte, die als „älteste von sieben Geschwistern Geld verdienen musste und in einer Plätterei landete. Noch heute sehe ich ihre verkrümmten, verbrannten Hände vor mir und weiß den Namen ihrer Brandsalbe.“
Der 15 jährige Heinz Erich Fritz landete also in der Lehrwerkstatt in Hastedt und erinnert sich noch ganz genau an eine der ersten Fragen, die ihm entgegenschallte:
„Bist du Jude?“

Warum sie ihm gestellt wurde, was sie für einen Hintergrund hatte, vermochte sich dem Fünfzehnjährigen ein gutes Jahr nach der Hitlerschen Machtergreifung wohl noch kaum er­schließen. Drei Jahre lang blieb er dort. Oskar Wendt, Hans Jännichen und Wilhelm Büchner, mit dem ihn später eine tiefe Lebensfreundschaft verbinden sollte, lauteten die Namen seiner Ausbilder und Mentoren. Zwischen ihnen stimmte die Chemie.
Für diese Jahre bei Borgward - „ich war immer in Hastedt, niemals in Sebaldsbrück“: verdichten sich die Erinne­rungen von Heinz Erich Fritz dermaßen, dass alleine sie ein ganzes Buch füllen könnten.
Einmal wurde er 'Stift des Jahres', nahm auch regelmäßig an den Wettkämpfen der Sportgruppe Borgward teil. „Ich war ein Sportsmann.“

>Foto Schwarzes HeftchenUnd ein sehr gelehriger Stift, um den sich verschiedene Ausbilder manchmal fast stritten oder ihn für besondere Dienste (aus)nutzten. Da gab es einen in ständigen Geldnöten schwimmenden Kollegen Tomascheck, der den Stift Fritz in die Buchhaltung schickte, um für ihn einen Vorschuss zu erbitten. Dort wiederum saß Wilhelmine Bick, Urgestein des Borgwardschen Unternehmens und gestrenge Hüterin der Firmenkasse. „Geld ist etwas, war wir nie hatten“, lautete ihr Spruch, der die finanzielle Situation dieses Unternehmens so treffend beschrieb, denn das Geld war immer unterwegs. Der Lehrling Fritz kam überhaupt nicht dazu, sein Anliegen vorzutragen, da hatte die resolute Buchhalterin ihn schon mit einer Schimpfkanonade überschüttet. Erst nachdem der eingeschüchterte Junge ihren Irrtum korrigiert hatte, war die alte Dame bereit, diesem den erbetenen Vorschuss für den Kollegen auszuhändigen, nicht ohne dies fein säuberlich in ihren Unterlagen zu vermerken. „Tante Minna“, wie sie genannt wurde, war überaus akribisch, wenn sie mit Tintenblei ihre Buchungen in den Firmenkladden vermerkte. Davon zeugt eine von ihnen, die sich heute im Besitz von Heinz Erich Fritz befindet. Es ist ein historisches Dokument, das die Buchhaltung der Jahre 1928 bis 1929 enthält, in dem alle buchhalterischen Transaktionen vermerkt sind. Den verbleichenden, säuberlichen Eintragungen ist exakt zu entnehmen, wie viel Lohn die Mitarbeiter erhielten und was die beiden Unternehmer Borgward und sein damaliger Teilhaber Tecklenborg sich selbst an Gehalt auszahlen ließen.

Der ehemalige Mitarbeiter Fritz hütet diese schwarze Heftchen wie seinen Augapfel. Es ist ein Zufallsfund. Nach Kriegsende fand sein Vater es zufälligerweise im Bombenschutt des Bremer Stadtteils Peterswerder In der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschte absoluter Papiermangel, so dass für den Entdecker zunächst einmal die ungeschriebenen Seiten der Kladde interessanter waren als die bereits darin enthaltenen Buchungen. Deren dokumentarischer Wert wurde erst viel später erkannt.
Regelmäßig tauchte "der Alte“ oder "der Dicke“, wie er in der Firma genannt wurde, auch im Konstruktionsbüro bei dem Ingenieur Wilhelm Büchner auf, um mit diesem über Konstruktionsplänen zu brüten und zu fachsimpeln. Einmal waren die beiden Herren sich uneins. Borgward neigte zu cholerischen Ausbrüchen. Diesmal befand er sich in einem Irrtum und mochte den ruhigen Widerspruch seines Mitarbeiters nicht akzeptieren. Stattdessen steigerte er sich so in Wut, dass er in seinem Furor vor den Augen des entsetzten Konstrukteurs und seines Lehrlings einen Stuhl auf dem Boden zerschmetterte und türenknallend aus dem Büro stürmte.
Betreten blieben Büchner und Stift Fritz zurück.

„Jetzt schmeißt er mich raus. Was soll ich nur tun? Ich wollte doch am Wochenende heiraten“, sagte der Ingenieur verzweifelt und ratlos zugleich.
Es erfolgte kein Rausschmiss, sondern am Hochzeitstag wurde ein riesiges Blumenbouquet an der Haustür des Hochzeitspaares abgegeben. Absender: C.F.W. Borgward.
„Wollen wir uns wieder vertragen?“ erkundigte sich "der Dicke“, als er wenige Tage später wieder im Konstruktionsbüro erschien. „Ich habe niemals einen Grund gehabt, mich nicht mit Ihnen zu vertragen“, entgegnete der frisch verheiratete Büchner würdevoll.
Borgwards ältester Sohn Kurt studierte in jenen Jahren bereits in München. Offiziell Maschinenbau! Tatsächlich frönte er wohl eher einem lustigen Studentenleben und hatte heimlich geheiratet. Aber allmählich war es an der Zeit, an einen Abschluss zu denken. Die dazu erforderliche Arbeit gedachte er hingegen nicht zu erbringen. So tauchte eines Tages der Chefkonstrukteur Herbert Scarisbrick bei seinem Kollegen Büchner auf und zog ihn beiseite. Der Sohn vom Chef müsse für die Hochschule einen Zwei-Liter-Sportmotor bauen, raunte er ihm ins Ohr. Dabei müsse man ihm fachlich wohl ein bisschen unter die Arme greifen. Auf der Stelle zeigte sich das Konstruktionsbüro solidarisch und und begab sich an die Arbeit. Alles hinter dem Rücken vom „Alten“. „Der Dicke durfte davon nichts erfahren.
In der Mittagspause oder nach Feierabend hat Scarisbrück Striche gezogen, Büchner hat die Maße für das Kraftwerk eingesetzt, und Fritz hatte den Zylinderkopf am Wickel.“
Jeden Abend brachte Herbert Scarisbrick das Ergebnis dieser Gemeinschaftsarbeit noch zur Post und schickte die Unterlagen per express nach München. Genutzt hat es Kurt nichts. Er bestand die Prüfung nicht, auch nicht im zweiten, Anfang der vierziger Jahre aufgrund seiner Kriegsverletzung ausnahmsweise gewährten Anlauf und erhielt niemals ein Diplom. Er wurde Autohändler in Hannover, erst für Borgward, dann für Opel. Gedankt hat er seinen Helfern niemals.

Foto Heinz Erich Fritz>Heiter beginnen Fritz's Erinnerungen an den Kollegen Jenkins Helms. Dieser Deutsche hatte jahrelang in den USA bei Ford gearbeitet, aber konnte nach einem Besuch in der alten Heimat wegen des Kriegsausbruchs nicht in die USA zurück kehren. So war er bei Borgward gelandet und brachte die amerikanische Arbeitshaltung mit.
Pfeifend erschien er morgens im Betrieb, warf mit Schwung seinen Hut in die Ablage, hing seinen Mantel an die Garderobe, begab sich an seinen Arbeitsplatz und legte los. ,So macht man das in den USA!' Während wir noch herum trödelten, unseren Kaffee tranken und quatschten.“
Eine harmlose Hitler-Karikatur wurde dem fröhlichen Jenkins zum Verhängnis. Irgendjemand muss die flüchtige Skizze gesehen und den Kollegen im voraus eilenden Gehorsam jener Jahre denunziert haben.
„Da tauchten sie dann auf, diese Brüder mit den Schlapphüten und in ihren Ledermänteln. Ihre Gesichter konnte man nicht erkennen. Sie nahmen Jenkins Helms mit.“
Eduard Vancura und Ludwig von Haeseler hießen die beiden beherzten Männer, denen es gelang, dem Deutschamerikaner aus den Fängen der Gestapo zu befreien. Nach drei Tagen kehrte Jenkins Helms zurück. „Aber wir haben ihn kaum wieder erkannt. Er war ein gebrochener Mann.“ Jahrzehnte später schüttelt es Heinz Erich Fritz noch bei der Erinnerung daran, aber will sie festgehalten wissen.

Fortsetzung : Der alte Fabrikant, zweiter Teil


2017-07-08, Birgid Hanke, Wirtschaftswetter
Text: ©Birgid Hanke
Fotos: ©Birgid Hanke + Heinz Erich Fritz
Skulpturen: ©Heinz Erich Fritz
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